Waisenkitz „Erbse“ - eine Rettung mit Fingerspitzengefühl
Am 27. Mai machte einer unserer Jagdpächter auf dem Weg zur Arbeit eine traurige Entdeckung: Eine Ricke lag tot im Straßengraben – offenbar bereits seit mehreren Stunden. Der Wildunfall ereignete sich auf einem stark befahrenen Straßenabschnitt, der in den letzten Wochen immer wieder negativ aufgefallen war. Ein alarmierendes Zeichen, wie wichtig Rücksicht und angepasste Geschwindigkeit in wildreichen Gebieten sind.
Doch diesmal ging es um mehr: Die Ricke war führend, also hatte sie mindestens ein Kitz bei sich. Mutterlos, allein und in Lebensgefahr.
Schnell war klar: Hier musste gehandelt werden. Die Unfallstelle lag zwischen einer Blühwiese, einem Erbsen- und einem Rapsfeld – ideales Gelände für Rehkitze, aber ein Albtraum für Suchende mit bloßem Auge.
Ein befreundeter Jäger erklärte sich spontan bereit, am frühen Abend mit seiner Wärmebilddrohne zu helfen. Glücklicherweise spielte die Witterung in unsere Karten – Dank nicht all zu hoher Umgebungstemperaturen hatten wir gute Chancen, fündig zu werden.
Und tatsächlich: Wenige Momente später entdeckten wir drei liegende Kitze, alle in unmittelbarer Nähe der verunfallten Ricke.
Doch jetzt wurde es knifflig: In dem Areal führten mindestens zwei weitere Ricken. Es bestand also das Risiko, ein gesundes Kitz fälschlicherweise zu entnehmen – und gleichzeitig das verwaiste zurückzulassen.
Taktisches Vorgehen war gefragt: Wir markierten die Fundorte und stellten Vergrämungsstöcke mit flatternden Müllbeuteln auf. Unsere Hoffnung: Die Muttertiere würden sich durch die Bewegung gestört fühlen, ihre Kitze abholen und an einen neuen Ort bringen. Das verwaiste Kitz hingegen würde zurückbleiben.
Dann hieß es warten. Geduldig, gespannt, angespannt - die ganze Nacht.
In den frühen Morgenstunden kehrten wir zurück. Die Spannung war greifbar – und wich rasch der Erleichterung: Zwei der drei Kitze waren verschwunden. Unsere Theorie ging offenbar auf – zwei Mütter hatten ihre Jungtiere geholt.
Doch blieb die alles entscheidende Frage: War am dritten und letztem Punkt das Waisenkind?
Wir näherten uns langsam der verbliebenen Stelle im Erbsenfeld, bewegten uns vorsichtig durch die Beregnungsgasse, um auf keinen Fall unnötige Unruhe zu stiften. Dann – zwei Lauscher im dichten Grün. Ein erster Blick, ein leises Aufatmen. Wir hatten es geschafft!
Behutsam, aber bestimmt hob ich das Kitz auf. Ein schneller Schnappschuss für unsere WhatsApp-Gruppe – Beweis, Glücksmoment und Motivation zugleich. Dann beruhigende Worte an das kleine Wesen. Wir betteten es in den vorbereiteten Karton, dunkel und weich ausgepolstert, um unnötigen Stress zu vermeiden.
Jetzt begann die nächste Etappe: Ein sicherer Pflegeplatz musste gefunden werden.
In unserer Region ist das Netz an Wildtierauffangstationen leider sehr dünn. Doch über gute Kontakte wurden wir an eine erfahrene Wildtierpflegerin mit großem Herz vermittelt, die bereits viele Rehkitze aufgezogen hat.
Etwa 30 Minuten später erreichten wir ihren Hof. Dort erwartete uns schon eine angewärmte Portion Ziegenmilch. Die kleine Ricke – inzwischen „Erbse“ getauft – nahm sofort vorsichtig Kontakt zur neuen Pflegemutter auf. Bereits nach wenigen Versuchen trank sie die ersten 100 ml Milch. Ein erster Hoffnungsschimmer.
Nur wenige Tage später – nach regelmäßigem Austausch mit der Pflegestelle – kam die frohe Nachricht: Die sensible Prägephase war erfolgreich. „Erbse“ folgt ihrer neuen Adoptivmutter, zeigt sich verspielt, neugierig und lebensfroh.
Ein Happy End, das zeigt: Tierschutz funktioniert nur im Team.
Dank guter Zusammenarbeit, technischem Know-how, fachlichem Gespür und einer Portion Suchenglück konnte ein kleines Leben gerettet werden.
Ein herzliches Dankeschön an alle, die geholfen haben – auf dem Acker, am Telefon, am Steuer und an der Milchflasche.
So sieht gelebter Tierschutz aus. Auch das ist Jagd.
Waidmannsheil
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