Ein kleines Wunder



Es war ein milder Freitagabend im Mai, als ich als Jungjäger eine jener Erfahrungen machte, die einem das Wesen unserer Aufgabe eindrücklich vor Augen führen – nicht wegen eines besonderen Abschusses, sondern wegen der stillen Verantwortung, die unser Handwerk mit sich bringt.
Gegen 18 Uhr erreichte mich die Meldung: Eine Ricke war in meinem Revier – das sich an ein Wohngebiet anschließt – von einem Pkw erfasst worden. Der Unfallort lag in unmittelbarer Nähe zu einer Wiese, die regelmäßig vom Rehwild als Einstand genutzt wird.
Noch am selben Abend traf ich mich mit einem erfahrenen Nachsuchenführer. Sein hannoverscher Schweißhund arbeitete konzentriert, nahm die Fährte sicher auf und führte uns zügig durch deckungsreiches Gelände. Die Ricke konnte schließlich gefunden und erlöst werden.
Beim Versorgen des Stücks zeigte sich deutlich: Die Ricke war laktierend – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie führend war. Ein Kitz musste also noch irgendwo in der Nähe sein, vermutlich versteckt, geschwächt und auf sich allein gestellt. Trotz sorgfältiger Absuche blieb es zunächst unentdeckt.
Noch am Abend informierte ich ein Drohnenteam, um gegebenenfalls eine Wärmebildsuche durchzuführen. Leider musste dieses jedoch absagen – in unmittelbarer Nähe zum Wohngebiet war der Drohneneinsatz aus rechtlichen Gründen nicht gestattet.
Am nächsten Morgen machte ich mich erneut auf den Weg – diesmal mit meinem Rauhaardackel Casper. Mit feiner Nase und großem Eifer durchkämmte er die Wiese systematisch. Nach etwa einer Stunde zeigte er deutlich an – er verharrte reglos, die Rute gespannt. Im hohen Gras, nur wenige Meter vom Ort des Geschehens entfernt, lag tatsächlich ein Kitz. Es war sichtlich geschwächt, aber lebendig.
Ich nahm es vorsichtig auf und brachte es mit nach Hause. Drei Tage lang kümmerte ich mich um das Tier, fütterte es mit Ersatzmilch und sorgte für Wärme – stets mit dem Ziel, eine Prägung auf den Menschen zu vermeiden. Danach übergab ich es in die fachkundige Obhut einer Wildtierauffangstation in Monschau, wo es nun weiter versorgt wird – mit dem Ziel, später in die Freiheit entlassen zu werden.
Selbst mein Pächter sowie der Nachsuchenführer hatten kaum für möglich gehalten, dass das Kitz nach so langer Zeit und ohne Schutz der Mutter noch lebend gefunden werden könnte – umso größer war die Freude über den glücklichen Ausgang.
Solche Erlebnisse prägen – und sie zeigen eindrucksvoll, dass unsere jagdliche Verantwortung weit über das Erlegen von Wild hinausgeht. Sie umfasst Hege, Nachsorge und Mitgefühl – und manchmal auch die stille Freude, ein Leben gerettet zu haben. Mein kleiner Dackel Casper war an diesem Wochenende mehr als nur ein Begleiter: Er war ein echter Lebensretter.
